Freitag, 9. November 2007

Mediale Türsteher, damals wie heute

Arthur Koestler kam 1930 nach Berlin und begann, bei der liberalen Vossischen Zeitung zu arbeiten. Wie reagierten seine Kollegen, als die Weimarer Demokratie erodierte?


Jede Phase dieses Auflösungsprozesses spiegelte sich in der Meinungsfabrik, in der ich tätig war. Der Ton unserer Zeitung änderte sich merklich. In der Vossischen Zeitung erschien wöchentlich eine Spalte, die Meldungen über deutsche Minderheiten außerhalb der Reichsgrenze brachte. Nicht wenige von uns hörten damals das Wort „Sudentendeutsche“ zum ersten Mal. Es klang so hinterwäldlerisch, dass es zum ständigen Witz der Feuilletonredakteure wurde, zu sagen: „Du bist ein typischer Sudentendeutscher.“ Doch die Spalte war nicht als Witz gedacht. Sie war Ausdruck einer halb unbewussten Neuorientierung vom Kosmopolitismus weg zum Alldeutschtum.
Dem Westen gegenüber versteifte sich die Haltung zusehends. Wir hatten dem Versailler Vertrag immer eine kritische Haltung eingenommen, jetzt ging sachliche Kritik in selbstgerechte Anmaßung über. Die Leitartikel wurden gespreizt, patriotisch und provizlerisch. Es war nicht nötig, die Redakteure und Auslandskorrespondenten zu diesem Kurswechsel aufzufordern. Nachdem der Ton einmal angeschlagen war, passten sie sich an – instinktiv und automatisch. Hätte man ihnen vorgeworfen, dass sie ihren Standpunkt geändert haben, würden sie es entrüstet und überzeugt verneint haben.


(Als Zeuge der Zeit, Seite 109 f., Franfurt 2005)