Dienstag, 23. Dezember 2014

"Zu falsch-negativen Befunden gibt es keine Angaben"

Hildegard Kaulen von der FAZ hat sich vor zwei Tagen dankenswerterweise dem Hautkrebs-Screening in Deutschland angenommen. Die "Früherkennungsuntersuchung auf Hautkrebs" wurde mit Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses November 2007 eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherungen. Versicherte ab 35 Jahren können es seitdem alle zwei Jahre in Anspruch nehmen. Etwa 15 Millionen Menschen lassen ihre Haut von einem Haus- oder Hautarzt untersuchen. Das Programm kostet "mehrere Millionen im Jahr".

Gesundheitspolitische Laien mag überraschen, wie so was läuft. Im Gemeinsamen Bundesausschuss verhandeln die Verbände der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen, was medizinisch sinnvoll ist und daher bezahlt wird. Aber irgendwie wurde in diesem Fall total vergessen, zu untersuchen, ob das ganze überhaupt funktioniert. Die geplante Begleitforschung jedenfalls war von vornherein ungeeignet.

Das Hautkrebs-Screening ist mit der Erwartung eingeführt worden, dass schwarzer Hautkrebs früher entdeckt wird, dass in der Frühphase bessere Überlebenschancen bestehen und dass die Melanom-Sterblichkeit in der Bundesrepublik zurückgehen wird. Außerdem sollte jede Art von früh entdecktem Hautkrebs schonender und vielleicht sogar kostengünstiger behandelt werden. Angesichts dieser Erwartungen wäre die Erfassung von harten Endpunkten, wie dem Rückgang der Melanom-Mortalität, angezeigt. Eine solche Bewertung ist aber von Anfang an nicht vorgesehen gewesen.
Das ist nur eine der vielen Merkwürdigkeiten, von denen Kaulen berichtet. Fazit:
Es gibt keine einzige kontrollierte randomisierte Studie, die den Nutzen des Hautkrebs-Screenings eindeutig belegt. ... Es ist dringend an der Zeit, das bundesdeutsche Hautkrebs-Screening auf den Prüfstand zu stellen.
Eine medizinsche Behandlung wird auf die Bevölkerung losgelassen, obwohl niemand weiß, wie sie wirkt? Von den vielen, vielen Problemen der gesundheitlichen Vorbeugung ist diese die banalste: Wenn für Untersuchungen bezahlt wird, wird mehr untersucht. In meinem Buch Mythos Vorbeugung erzähle ich die klassische Geschichte zu dieser Problematik.
Die American Child Health Association war eine Wohltätigkeitsorganisation, die mit Spenden reicher Philanthropen gut ausgestattet war. Ihr Ziel war die Förderung der Gesundheit Heranwachsender. Auch damals schon wurden entzündete und vergrößerte Gaumenmandeln in bestimmten Fällen herausgeschnitten. Die „Amerikanische Vereinigung für Kindergesundheit“ wollte sicherstellen, dass wirklich alle Kinder operiert würden, denen dies nutzen würde. Um den Bedarf zu ermitteln, rekrutierten sie im Jahr 1934 1000 New Yorker Schulkinder mit einem Zufallsverfahren. Bei 611 von ihnen waren die Gaumenmandeln bereits zuvor entfernt worden.

Weil der Verein sicherstellen wollte, dass keine nötigen Operationen ausgeblieben waren, schickte er die übrigen Kinder zu einer erneuten Untersuchung bei Schulärzten. Diese hielten eine Operation bei 174 von 389 Kindern für nötig. Um nun ganz sicher zu gehen, organisierte die Vereinigung abermals eine Untersuchung für die Übriggebliebenen; wieder fanden sich in der auf 215 Kinder geschrumpften Gruppe 99 bisher übersehene operationsbedürftige Fälle. Nach einer weiteren Untersuchungen blieben nur 65 Kinder mit offenbar bemerkenswert robusten Gaumenmandeln übrig. Leider wurde die Studie an dieser Stelle abgebrochen. Die Rate der positiven Diagnosen lag bei der ersten Untersuchung bei 60 Prozent und pendelte bei den drei folgenden um 45 Prozent.