Freitag, 17. April 2015

Wolfgang Schäuble erzählt einen Witz

Patrick Bahners - meiner Meinung nach ein FAZ-Autor mit einer eigenen Haltung - schreibt über die Diplomatie des Finanzministers.
Zum Abschluss erzählt Wolfgang Schäuble einen Witz. Genauer gesagt: Er erzählt davon, wie er einmal einen Witz erzählt hat. Er liebe es nämlich, Witze zu erzählen, und so habe er vor ein paar Monaten die Prognose gewagt, es könne sein, das Wladimir Putin eines Tages noch den Karlspreis bekommen werde, wegen seiner Verdienste um die Einigung Europas.
Lustig. Ein neuer Kalter Krieg mit Russland, ein heißer Stellvertreterkrieg auf der Krim dazu, da ist es gut, dass Schäuble die gute Laune nicht verliert. Mit dem "Humor des Finanzministers" hat es allerdings so seine Bewandtnis, bemerkt Bahners.
Ein wiederkehrendes Merkmal der freien Rede sind bei Schäuble Eruptionen einer untergründigen Heiterkeit, deren Gegenstände sich nicht einfach benennen lassen. Man weiß oft nicht, warum sich gerade jetzt ein Lächeln auf sein Gesicht schleicht oder ein Kichern in seine Stimme. Was er sich denkt, geht nicht auf in dem, was er sagt. Sein vulkanisches Ingenium lässt auf einen empfindlichen Sinn fürs Absurde und Groteske seines Metiers schließen.
Wonach klingt das? Feuilleton-Prosa, sicher. Aber, mit Verlaub, nicht auch nach Diagnose? Handelt es sich um einen politischen Realitätsverlust im klinischen Sinn? Oder, anders gefragt: Woher kommt Wolfgang Schäubles unerschüttliche Gelassenheit und Glauben, im großen und ganzen werde alles gut gehen (bei gleichzeitiger äußerster Erregbarkeit im Kleinen)?

Natürlich repräsentiert Schäuble den "diskreten" europäischen Hegemon im konkreten wie übertragenen Sinne. Deutschland / Europa als soft power ist ein Schlüsselbegriff seines politischen Selbstverständnisses, er benutzt ihn in jeder dritten Rede. Aber er repräsentiert deutsche Macht ganz anders als Kanzlerin Merkel mit ihrer sedierenden, mäandernden Rhetork, mit ihrem mütterlich-beruhigenden Gestus. Schäuble spricht apodiktischen, belehrenden Klartext: Er hat alles gesehen und erlebt und verstanden. Er weiß, das deutsche Schiff geht niemals unter, und wenn es doch einmal untergeht, dann taucht es fast unversehrt wieder auf.
Bahners schreibt:

Finanzpolitik, so mag man das verstehen, der spekulative Erwerb von Kredit, ist heute die Leitdisziplin unter den Staatskünsten. Waffen scheinen entbehrlich, weil es Bluff und Finte gibt. Schäuble selbst legt den Gedanken nahe, dass die Routine im Hinausschieben des großen Kassensturzes, die die Regierungen der Eurozone erworben haben, ein Muster des Krisenmanagements auch in der Frage von Krieg und Frieden liefert.
Das trifft etwas. Haben Merkel und Schäuble vielleicht so viel Routine darin erworben, dass sie den deutschen Kassensturz für auf ewig aufschiebbar halten?