Montag, 4. Mai 2015

Felix Austria Inscius

Letzte Woche habe ich meine erste Talkshow absolviert, na ja, jedenfalls so etwas Ähnliches wie eine Talkshow: Die Donau-Universität Krems lud zu einer Diskussion mit dem Titel „Allheilmittel Prävention?“ und lud auch mich dazu ein!

Die Frage, ob gesundheitliche Vorbeugung ein Allheilmittel sei, ist natürlich eine rhetorische. Darüber wurden wir uns auf dem Podium schnell einig. Damit erschöpfte sich die Einigkeit allerdings auch schon. Denn während die Arbeitsmedizinerin Eva Högl, der Ökonom Gottfried Haber und der Epidemiologe Gerald Gartlehner es schwierig fanden, den Leuten gesundes Verhalten nahe zu bringen, bezweifle ich den Sinn ganz grundsätzlich. Warum?

* Die vermeintlich pathogenen Bösewichte wie Bewegungsmangel und Fehlernährung werden zu Unrecht dämonisiert.

* Die unteren Klassen sind öfter und schwerer krank und sterben früher, aber nicht in erster Linie wegen ihres Lebensstils, sondern weil sie größeren Belastungen ausgesetzt sind.

* Die Kehrseite: Die oberen Klassen sind gesünder, aber das liegt nicht an ihrem Lebensstil.

In der Diskussion spielte dieser Sachverhalt leider kaum eine Rolle. Scheinbar brennt vielen Menschen zu sehr das Problem unter den Nägeln, wie wir die Leute dazu bekommen, sich gesund zu verhalten, um sich grundsätzlichen Fragen aufzuhalten. Und merkwürdig, jede dritte Gast, der sich in der Diskussion zu Wort meldete, beklagte die Zustände in Österreich. Zu träge, nicht auf der Höhe der Zeit, provinziell - das in einem Land, in dem der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen arm und reich immerhin fast drei Jahre weniger als in der Bundesrepublik Deutschland beträgt, das also irgendetwas besser machen muss als die Piefkes!

In der neuen (übrigens sehr interessanten) Ausgabe von Gesundheit braucht Politik, der Zeitschrift des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte, habe ich noch einmal meine Argumentation aus "Mythos Vorbeugung" zusammengefasst.

"Für einen Mann mit einem Hammer sieht alles wie ein Nagel aus!", sagt ein schönes englisches Sprichwort: Wenn die Therapie von vornherein feststeht, verengt sich auch die Diagnose. Die konventionelle epidemiologische Theorie, die die präventive Praxis anleitet, thematisiert daher ausschließlich jene „Risikofaktoren“, die angeblich „eigenverantwortlich“ bekämpft werden können. Wenn soziale und psychosoziale Belastungen überhaupt auftauchen, dann bezeichnenderweise nur als individuelle Herausforderungen, gegen die geeignete Verhaltensänderungen helfen sollen: Yoga gegen Stress, Ballaststoffe gegen Krebs, Diät gegen Diabetes ...
Sicher, der Verzicht auf Tabak, Alkohol und Völlerei kann das Leben verlängern. Aber die gesundheitliche Vorbeugung übertreibt ihren Einfluss maßlos. Dass Frauen mit leichtem Übergewicht die längste Lebenserwartung haben – ein Idealgewicht in dieser Hinsicht also gerade nicht ideal ist –, das passte so wenig ins Bild, dass es zu einem „Paradox“ erklärt wurde. Dass viel Sport nicht unbedingt viel hilft, dass gegen Schicht- und Nachtarbeit „Schlafhygiene“ kaum etwas ausrichtet, dass der Einfluss bestimmter Ernährungsweisen auf die Inzidenz chronischer Krankheiten keineswegs geklärt ist – solche wichtigen Informationen finden sich nicht in den Aufklärungsbroschüren, die in hohen Auflagen unters Volk gebracht werden, wohl „um die Patienten nicht zu verunsichern“.
Damit bringen sich die Experten um Glaubwürdigkeit und verschenken Vertrauen. Noch wichtiger und gesellschaftspolitisch bedenklicher ist aber, dass ihr Fokus auf Genussmittel als dem wesentlichen Gesundheitsproblem und Sport als Therapie der Wahl falsche Körperbilder mit vermeintlich wissenschaftlichen Weihen versieht. Denn wer den Broschüren der Kassen und staatlichen Stellen glaubt, muss ja geradezu auf die Idee kommen, ein jeder sei seiner Gesundheit eigener Schmied, er müsse sich nur „vernünftig“ verhalten und die Finger von Zigaretten und Sahnetörtchen lassen!
Die Aufgabe einer kritischen Medizin wäre dagegen, im Gespräch mit den Patienten deren Vorstellungen davon zu weiten, was gesund erhält und was krank macht; sie sollte persönliche Beziehungen, Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse zur Sprache bringen. Kritische Medizin darf ihre Patienten nicht als bloße Opfer der Verhältnisse behandeln und so abermals entmündigen. Sie muss aber auch ehrlich aufzeigen, wie wenig aussichtsreich es ist, Belastungen durch „gesundes Verhalten“ auszugleichen. So würde sie so wenigstens diejenigen entlasten, die ihr Leiden als ein eigenes Versagen erleben.