Montag, 27. Juli 2015

Nicht widerlegbarer Verdacht

Als die deutschen Medien Krieg gegen die Regierung Tsipras führten, betraf ein Scharmützel den Einfluss der Spieltheorie auf die Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern. Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis hat bekanntlich ein Lehrbuch zum Thema verfasst. Varoufakis selbst schrieb dazu schon vor längerem in der New York Times:
Game theorists analyze negotiations as if they were split-a-pie games involving selfish players. Because I spent many years during my previous life as an academic researching game theory, some commentators rushed to presume that as Greece’s new finance minister I was busily devising bluffs, stratagems and outside options, struggling to improve upon a weak hand.
Nothing could be further from the truth.
Im folgenden erläuterte Varoufakis dann ausführlich, warum seiner Ansicht nach spieltheoretische Überlegungen nicht für den politischen und wirtschaftlichen Konflikt taugen. Diese Haltung ist nicht so ungewöhnlich: Viele Spieltheoretiker – meiner Meinung nach die vernünftigsten und schlausten – stufen die Aussagekraft dieser Theorie weit zurück. Die kann hilfreich sein, heißt es dann oft, oder, noch bescheidener, sie sei ein wirksamer Denksport.

Aber kaum ein deutscher Kommentator nahm die Distanzierung von Varoufakis zur Kenntnis oder wenigstens ernst. Sie fuhren fort, die griechische Verhandlungsführung mit Begriffen wie "Pokern", "Zocken" oder "Glücksspiel" zu belegen.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass kaum einer von ihnen weiß, was Spieltheorie bedeutet. Der Begriff wird üblicherweise missverstanden. Mit Poker, Mensch ärger dich nicht oder Monopoly hat sie nichts zu tun. Eigentlich ist sie sogar weniger eine Theorie als vielmehr eine Methode, eine modellhafte Darstellungsweise, die Übersicht im Gewirr der Interessen und Handlungsoptionen bringen soll. Zu diesem Zweck trifft sie aber einige Annahmen, die wirklichkeitsfremd sind, sobald es um komplexere Gegenstände geht wie beispielsweise die sich verschärfenden Widersprüche in der Euro-Zone.

- Spieltheorie geht davon aus, dass sich die Interessen der Kontrahenten auf einen Nenner bringen lassen, den sie nebulös mit "Nutzen" beschreibt.

- Sie geht davon aus, dass die Kontrahenten rational handeln, worunter die weitestgehende Steigerung des Nutzens verstanden wird.

- Sie geht davon aus, dass die Kontrahenten wissen, was sie und ihre Gegner tun können.

- Sie geht davon aus, dass ihre Ziele sich nicht durch die Auseinandersetzung verändern.

Es ist bereits fraglich, wie viel es überhaupt analytisch bringt, den Konflikt als Spiel zwischen "Griechenland" und "den Institutionen" zu modellieren. Während der quälend langen Verhandlungen wurden die Verwerfungen und Gegensätze innerhalb der Troika und zwischen den europäischen Mächten immer deutlicher. Das war kein Tauziehen (das naturgemäß zwischen zwei Seiten entschieden wird), sondern ein Kesseltreiben, bei dem aus vielen Richtungen geschossen wird. Querschläger eingeschlossen. Die griechische Gesellschaft ist ebenso wenig ein einheitlicher Spieler, was die Schwankungen der Regierungsstrategie erklären mag.

Der deutsche Mikroökonom Alex Ockenfels, Experte für Verhaltensökonomik, meldet sich nun in der Wirtschaftswoche zu Wort und will erklären, was Varoufakis und Tsipras spieltheoretisch falsch gemacht hätten. Mit ihren Bluffs, Drohungen und Täuschungen hätten sie ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Ockenfels' Fazit:

Ein kleines bisschen Expertise kann eben manchmal mehr schaden als nutzen.
Will das sagen, dass Varoufakis die Theorie einfach nicht begriffen hat? Hätte er psychologisch geschickter vorgehen sollen, wie es die Behavioural Economics nahelegen? Die Vertreter von Syriza werden den Makel einfach nicht los, ihnen sei alles, jede Täuschung zuzutrauen. In der ziemlich paranoiden Logik der Spieltheorie lässt sich dieser Verdacht einfach nicht entkräften.

Sonntag, 12. Juli 2015

Wolfgang Schäuble ist auf seine Würde bedacht

So sehr, dass er sich lächerlich macht.
Such was the "tough, even violent" atmosphere, in the words of one participant, that after an overnight break the German and French finance chiefs, Wolfgang Schaeuble and Michel Sapin, sat down to clear the air between them before resuming on Sunday. Schaeuble also crossed swords with ECB governor Mario Draghi, snapping at the Italian central banker "I'm not stupid!"

"It was crazy, a kindergarten," said a source describing the overall course of nine hours of talks on Saturday among weary ministers attending their sixth emergency Eurogroup in three weeks. "Bad emotions have completely taken over." ... The European Central Bank's Draghi seemed "the strongest European" in the room, most opposed to the risky experiment of cutting Greece loose and braving Schaeuble's ire by interrupting him during a discussion on Athens' debt burden.

Berichtete Reuters, darunter ein interessantes Detail am Rand:
Unlike many of a dozen previous meetings they have had since Greeks despairing of creditor-imposed austerity elected leftist Prime Minister Alexis Tsipras in January, some of the sharpest exchanges were not with their Greek colleague but each other.

Mittwoch, 8. Juli 2015

Extend and pretend, delay and pray

Heute Mittag hat der britische Finanzminister George Osborne den Haushaltsplan für die nächsten fünf Jahre vorgestellt. Er sieht massive Kürzungen im sozialen Bereich und bei den Kommunen vor. So will die Regierung die Trendwende bei der Staatsverschuldung schaffen.

Ich habe das zum Anlass genommen, bei Telepolis über Austerität, Neoliberalismus und den Staat nachzudenken. Denn das britische Beispiel ist durchaus lehrreich:

Austerität bedeutet "Sozialabbau", aber nicht Schuldenabbau. Seit dem Zweiten Weltkrieg steigt langfristig die Staatsverschuldung, mal schneller, mal langsamer, über die Konjunkturzyklen hinweg. Die Phase des "Neoliberalismus" ab Anfang der 1980er Jahre unterscheidet sich natürlich vom vorangegangen "Keynesianismus", aber nicht hinsichtlich des Schuldenmachens. Alle britischen Regierungen seit und einschließlich der von Margaret Thatcher haben mit Defizitfinanzierung in den Konjunkturkreislauf eingegriffen.
Etwas zugespitzt ließe sich die Entwicklung seit 2008 mit dem Begriff "Verstaatlichung der Finanzbranche" oder auch "Souveränität der Finanzmärkte" beschreiben. Verhielten die Zentralbanken anders, gäbe es keine steigende Börsenkurse und Beschäftigungsquoten, sondern Rezession. Es ist schon merkwürdig: Niemals hing das Wohl und Wehe der Nationalökonomie so sehr am Tropf des Staates – und niemals hatte er einen so schlechten Leumund. Der Versuch, mit brachialer Gewalt die Staatsquote zu senken (Gewalt durchaus auch im handgreiflichen Sinn), hat etwas Verzweifeltes, vielleicht ist er auch einfach die notwendige Ergänzung zu dieser tendentiellen Verstaatlichung.
Lässt sich unsere Wirtschaftsform, ein fortgeschrittener Kapitalismus ohne staatliche Verschuldung aufrechterhalten? Auch auf der nationalen und internationalen Ebene gibt es eine Art "extend and pretend", Fristen verlängern, aufschieben und beten. Die Selbst-Täuschung besteht darin, eine offensichtlich säkulare Entwicklung wie eine vorübergehende Konjunkturschwankung zu behandeln und die historische Zäsur der neuen Weltwirtschaftskrise zu ignorieren.

Dienstag, 7. Juli 2015

Der Mann, den sie liebend gerne hassen

Yanis Varoufakis ist zurückgetreten. Wer wird ihn vermissen? Mit Sicherheit die Internet-Gossenpresse wie die Redaktion von United Internet. Heute hat sie es fertig gebracht, drei von etwa zehn Schlagzeilen dem ehemaligen Finanzminister zu widmen.

Montag, 6. Juli 2015

Wohnungsnot und Immobilienspekulation

Heute morgen lief bei Europa heute / Deutschlandfunk ein kurzer Bericht von mir über den englischen Wohnungsmarkt, insbesondere in London.

Sonntag, 5. Juli 2015