Dienstag, 12. Januar 2016

"Der Euro ist eine Art monetärer Weltvernichtungsmaschine"

Heute ist Teil drei meiner Interview-Serie über die Krise der EU und die deutsche Dominanz in Europa erschienen. Der Wirtschaftswissenschaftler Mark Blyth hat unter anderem "Wie Europa sich kaputtspart" veröffentlicht und gilt hierzulande (obwohl er ein in der Wolle gefärbter Neoklassiker ist) als Freak, denn er vertritt Standpunkte, die einer schwäbischen Hausfrau zu denken geben würden. Ich meine damit natürlich die sprichwörtliche Schwäbin, nicht die tatsächlichen wie beispielsweise meine Tante, die durchaus begreift, dass zwischen der Haushaltsführung eines Nationalstaats und dem einer Kernfamilie gewisse Unterschiede bestehen.

Mark Blyth verweist darauf, dass die Staatsverschuldung in der europäischen Peripherie (im Süden wie im übrigens auch im baltischen Nordosten) völlig unproblematisch war, bis in den Jahren 2007 / 2008 die Immobilienblase platzte und der Finanzsektor zu straucheln begann. Die Finanzialisierung war in Europa aber ebenso weit fortgeschritten wie in den Vereinigten Staaten - und der Handel mit Staatsanleihen spielte dabei eine Schlüsselrolle:

Für die europäischen Banken waren Staatsanleihen ein tolles Geschäft, bis der Euro eingeführt wurde. Mit griechischen Anleihen konnte man 25 Prozent verdienen, mit italienischen 12 Prozent, 10 Prozent mit französischen Titeln. Diese Zinsen entsprachen dem Risiko der Währungsabwertung und Inflation. Durch den Euro wurden diese Risiken dann abgeschafft, die Zinsen auf europäische Staatsanleihen näherten sich einander an - und den Banken ging ein lukratives Geschäftsfeld flöten.
Um trotz des sinkenden Spreads weiterhin Profit zu machen, erhöhten sie die Menge ihrer Ankäufe, aber das ging nur mit Fremdkapital. Durch diese Hebelung verschulden sie sich natürlich gleichzeitig. Deswegen wurde der Euro zur Katastrophe: Alle Mitgliedsländer bekamen den gleichen Zinssatz wie Deutschland, was gleichzeitig wunderbar und völlig irrsinnig war. Aber alle fanden das völlig in Ordnung so, bis die Zinsen in der Eurokrise wieder auseinander strebten, die Banken um Hilfe schrien und es auf einmal nicht mehr in Ordnung war.
Weiterhin erklärt Bylth, dass die Bilanzen der europäischen Banken bis heute keineswegs bereinigt sind. Der eigentliche Schuldenschnitt steht also noch aus, die einzigen Alternativen: entweder die Vermögenden werden (teil-)enteignet oder abermals "gerettet". Allerdings verweist er auch darauf, dass die europäischen Regierungen in einer allgemeinen Bankenkrise schlicht damit überfordert wären, ihre Finanzinstitute rauszuhauen:
Der europäische Bankensektor ist deutlich größer als der amerikanische und durch den Euro und die Möglichkeiten der Hebelung (Aufnahme von Fremdkapital für Finanzgeschäfte, MB) ist er weiter gewachsen. Die drei größten Banken in Frankreich entsprechen über 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die zwei größten deutschen Banken 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Die fünf größten amerikanischen Banken haben ein Vermögen, das ungefähr 60 Prozent des Bruttoninlandsprodukts entspricht. Wenn die europäischen Banken umkippen, erschlagen sie alle. Sie sind nicht too big to fail, sie sind too big to bail, zu groß für eine Rettung. Wir reden hier nicht über eine Firma wie Lehman Brothers, sondern über eine Bank wie Crédit Agricole, die fast so groß ist wie das Bruttoinlandsprodukt Frankreichs.