Mittwoch, 27. April 2016

Ein globaler Wettlauf bei der Digitalisierung

Die Hannover Messe fand bekanntlich dieses Jahr unter der ebenso unvermeidlichen und ominösen Überschrift "Industrie 4.0" statt. Superlative gefällig? Die größte und wichtigste Industriemesse der Welt, eine globale Leistungsschau der Fabrikproduktion, Spitzenforschung, Automatisierungsgrade nahe 100 Prozent. Auch die Regierungschefs Merkel und Obama besuchten die Messe und machten gute Stimmung. Aber die atlantische Achse knirscht. Bei der Digitalisierung der Fabrikproduktion befinden sich die Vereinigten Staaten und Deutschland in einem Wettlauf um die technischen Vorherrschaft. Mit dramatischen und drastischen Worten beschrieb das die 'Süddeutsche' vor zwei Tagen so:
Die besten Maschinenbauer der Welt – die Deutschen – sollen nicht die verlängerte Werkbank von IT-Konzernen werden, seien die aus den USA oder aus Fernost. Die Intelligenz designed by Apple und Google, die Hardware made in Germany. So soll es nicht kommen...

Wie aber wäre zu verhindern, dass die hiesige Industrie herabsinkt zu einem Hardware-Dienstleister, während die Herren der Computer, der Netze und der Algorithmen bestimmen, wie weit sie den Tropf aufdrehen, an dem jene Produktionsbetriebe hängen?

Der Kommentar malt das Schreckensszenario „Deutschland als verlängerte Werkbank der amerikanischen Internetriesen“ weidlich aus. In der neuen 'Konkret' habe ich auch einen Text zu den "geoökonomischen Hintergründen" der Industrie 4.0-Debatte veröffentlicht:
Es geht um die Konkurrenz aus USA und China, vor allem auf den Zukunftsmärkten digitale Dienstleistungen und Internet der Dinge. … Wenn die populären amerikanischen "Internetriesen" nun Autos oder Medizingeräte bauen (lassen), wird deutlich, dass die deutsche Industrie in diesem Feld nicht wirklich mithalten kann. In China wiederum wird ein Gutteil der elektronischen Geräte gefertigt, die weltweit verkauft werden.

Insofern besteht für die deutsche Industrie die Gefahr, in der Wertschöpfungskette abzusteigen. Zwar ist sie der „Fabrikausstatter der Welt“ und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben – aber was nutzt das, wenn Google oder Apple Standards definieren und ihre Konkurrenzprodukte verkaufen? „Viele deutsche Hersteller sind internationale Marktführer bei Produkten“, heißt es in einem Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums mit dem bezeichnenden Titel „Aufholen im digitalen Wettlauf“. „Doch dieser Erfolg darf sie nicht an der notwendigen Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle hindern. Denn in diese Lücke könnten führende Internetunternehmen und neue Gründungen stoßen und die Schnittstelle zwischen Kunden, Herstellern und Dienstleistern besetzen.“

Natürlich stellte die Bundeskanzlerin beim Staatsbesuch Obamas die gemeinsamen Wachstumschancen und deutsch-amerikanische Zusammenarbeit in Ausicht – das Wettrennen als Win-Win-Situation sozusagen, später teilen wir uns das Siegerpodest! Allerdings haben die deutschen Autobauer das Angebot der Firma Apple, gemeinsam den iCar zu entwickeln, gerade abgelehnt. Bei Dradio Wissen (... einen anderen Artikel ohne Paywall finde ich gerade nicht ...) heißt es dazu:
Mit Googles Selfdriving Car und Teslas Elektroauto machen sich amerikanische IT-Konzerne derzeit fleißig an die Demontage der deutschen Auto-Industrie. Um doch noch mitzumischen beim Auto der Zukunft, wollten sich BMW und Daimler mit Apple zusammentun. Doch diese Allianz ist jetzt gescheitert. Apple will ein hochvernetztes Elektroauto bauen, das genau wie die von der Konkurrenz von Google und Tesla autonom fahren kann. Gescheitert ist die Zusammenarbeit angeblich an zwei Fragen:

1. Wer übernimmt die Führung?

2. Die Datenfrage. Das Handelsblatt berichtet, Apple wolle iCar eng in seine iCloud einbinden. BMW und Daimler wollten jedoch selbst die Kontrolle über die Daten behalten. Der Schutz der Kundendaten sei für BMW und Daimler, so heißt es, ein "wichtiger Eckpfeiler der Zukunftsstrategie".

Laut FAZ hat Apple bereits begonnen, Ingenieure und Entwickler aus der deutschen Automobilbranche abzuwerben.

Ist die deutsche Industrie auf dem absteigenden Ast? Wie groß der Markt für autonome und Elektroautos überhaupt ist, vermag ich nicht zu sagen. Das Beispiel iCar ist aber bezeichnend für die Widersprüche der deutschen Industrie 4.0-Strategie, die von den großen Konzernen der IT-Branche und unter den Industrieausstattern vorangetrieben wird (Bosch, SAP, Siemens, Daimler, you name it). Man hat Angst, andere könnten neue Geschäftsmodellen entwickeln, die disruptiv wirken (um an dieser Stelle das andere unvermeidliche Schagwort einzuflechten), man will nichts verpassen, aber gleichzeitig die bisherige Ausrichtung unter keinen Umständen aufgeben. Den Kuchen behalten und aufessen, wie die Engländer sagen. Das Geschäft läuft doch für die deutsche Industrie - warum Produktinnovationen einführen, die den eigenen Produkten Konkurrenz machen? In der FAZ heißt es:

Auf den Markt soll das iCar als Kleinwagen im Jahr 2019 oder 2020 kommen, heißt es. Und zwar als Carsharing-Modell, ähnlich wie der Dienst Drive-Now von BMW und Sixt. Kunden könnten das iCar, oder wie es auch immer heißen mag, kurzfristig mieten und minutengenau abrechnen.
Daran krankt die deutsche Digitalisierungsoffensive: Prozessinnovationen, um die bisherigen Waren billiger herzustellen, sind willkommen, Produktinnovationen nicht. Aus eben diesem Grunde werden die deutschen Autobauer erst dann günstig und massenhaft Elektroautos auf den Markt bringen, wenn Stuttgart-Sindelfingen wegen des Klimawandels am Atlantik liegt.

Samstag, 16. April 2016