Donnerstag, 13. April 2017

"Jeder vernünftige Mensch weiß doch, dass ..."

Ein Titelbild von 1978
Mittlerweile habe ich mein neues Buch einige Male öffentlich vorgestellt. Obwohl die Kritik am Hype um die Digitalisierung eigentlich gar nicht im Zentrum steht, bezogen sich die Kommentare und Fragen aus dem Publikum immer wieder darauf. Wie komme ich dazu, die Digitalisierung eine "konservative technische Revolution" nennen? Habe ich denn nicht von Deep Mind und seinen "kreativen Spielzügen" gehört? Wieso komme ich auf die Idee, dass die Rationalisierungspotentiale durch Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Vernetzung beschränkt sind?

Nein, ich lebe nicht hinter dem Mond! Ja, ich habe die Debatte um die Künstlichen Neuronalen Netze und ihre erstaunlichen Leistungen nachvollzogen! Und dennoch, die gegenwärtigen Systeme werden die Arbeitswelt nicht grundlegend verändern. Es geht weiter wie bisher, das heißt: mit zunehmender Automatisierung, die aber im Vergleich zum den Sprüngen im letzten Jahrhundert eher Trippelschritte sind. Es ist kein Produktivitätssprung zu erwarten von der "späten Digitalisierung" - so nenne ich die Phase seit dem Platzen der dotcom-Blase. Sie ist vor allem geprägt durch das Wachsen des Internet. So fallen die Massendaten an, mit denen die "schlauen Algorithmen" "trainiert" werden. Aber auch diese Massendaten machen die lebendige Arbeit nicht überflüssig.

Die Masse hat eine große Überzeugungskraft, auf uns alle. Wenn aus sämtlichen medialen Kanälen die gleiche Botschaft dringt – in diesem Fall: gegenwärtig fände eine tiefgreifende Umwälzung der Produktionstechnik statt –, gilt es geradezu als verrückt, bestenfalls als naiv und uninformiert, das Gegenteil zu behaupten. Aussagen wie
Die ersten Computer stellen Diagnosen für Krankheiten, hören und sprechen und verfassen lesbare Prosa, während Roboter durch die Lagerhäuser schwirren und Autos mit minimaler oder ganz ohne Einmischung des Fahrers unterwegs sind.
von Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson sind common sense geworden. Nur leider eben trotzdem falsch.

Einer der wenigen Vorteile des Alterns – mögicherweise der einzige! - besteht darin, schon einige Hype Cycle persönlich miterlebt zu haben. Ich habe mittlerweile oft genug erlebt, wie wissenschaftlich gesicherte Wahrheiten aufsteigen und platzen wie Seifenblasen. Beispiele gefällig?
"Die Roboter kommen!"
"Die Entschlüsselung des Genoms wird die Medizin revolutionieren."
"Die Möglichkeiten des Neuroenhancement stellen unser Menschenbild auf den Kopf!"
"Die neuen Psychopharmaka sind ungefährlich und unschädlich!"
"Die Roboter kommen. (Diesmal wirklich!)"
Wie lange wird es dauern, bis diese Seifenblase platzt? Erste Absetzbewegungen der öffentlichen Meinung sind bereits zu erkennen.

Montag, 3. April 2017

"Mehr Stress, mehr Überwachung, mehr Risiko, weniger Lohn"

Die erste Rezension von "Automatisierung und Ausbeutung" ist (ausgerechnet) in der Jungen Welt erschienen: wohlmeinend, ohne ins Detail zu gehen.
Becker kennt die Arbeitswelt aus erster Hand, war Produktionshelfer, Callcenteragent und hat bestimmt schon mal im richtigen Moment den falschen Knopf gedrückt. Er schreibt in dieser Tradition über die Automatisierung – von Sharing-Plattformen bis zu Traktor-Sitzen, von Büroarbeitsplätzen bis Industrie 4.0. Automatisierung ist immer auch ein Herrschaftsinstrument, eine Managementtechnik zur Kontrolle der lebendigen Arbeit.