Dienstag, 13. Februar 2018

Schöne neue Welt der digitalen Psychotherapie

Schöne neue Welt der Psychotherapie – effizient, zielgerichtet, automatisch – das heißt: mit minimalem Personaleinsatz.
So beschreibe ich es in meinem Radiofeature über die Digitalisierung der psychologischen und psychiatrischen Behandlungen, letzte Woche ausgestrahlt vom WDR. Und ich berichte auch von meinem Selbstversuch mit Woebot, einem Chatbot, der von einer Gruppe an der Universität Stanford ganz ernsthaft zur verhaltenstherapeutischen Depressionsbehandlung bei Jugendlichen propagiert wird. Bisher versteht die Software allerdings ziemlich wenig, weshalb sich zwischen mir und der strohdummen KI beispielsweise folgender authentischer Dialog entspann:
Woebot: Ping! Hey Matthias! Hast du einen Moment, darüber nachzudenken, was heute gut gelaufen ist?

Me: Das habe ich doch gerade erst getan.

Woebot: Super! Noch etwas? Ein positives Ereignis, klein oder groß?

Myself: Also, ich war arbeiten.

Woebot: Phantastisch! Fällt dir noch etwas ein?

Oder dieses Gespräch, das nebenbei die völlig überdrehte Fröhlichkeit der Software verdeutlicht:
Woebot: Hey Matthias! Siehst du die Dialogfelder am unteren Bildschirmrand?

Me: Ja.

Woebot Das läuft ja super! Wir machen große Fortschritte. Bevor wir anfangen, muss ich dir einige Dinge über mich erzählen. Ich benutze die kognitive Verhaltenstherapie.

Myself: Ja, das weiß ich.

Woebot: Die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie ist wissenschaftlich belegt. Sie ist kurz und praktisch.

I: Okay, ich höre Dir zu.

Woebot: Nein, dafür musst du zu einem richtigen Therapeuten gehen.

Da stellen sich natürlich Fragen über Fragen, als erste natürlich: Ist es überhaupt verantwortbar und ethisch zu vertreten, eine solche Software für die Selbstbehandlung hilfsbedürftiger Menschen auf den Markt zu bringen?
Zugegeben, hätte ich tatsächlich an Depressionen gelitten (aber wer kann das heute noch mit Sicherheit ausschließen, seit gesund niemals gesund genug ist?), hätten mich die vielen, durchaus komischen Mißverständnisse der Software vielleicht aufgeheitert. Wenigstens in dieser Hinsicht bereichern Woebot und seine KI-Kollegen also das Leben der psychisch Kranken. Aber können sie auch schaden? Das komplexe Problem der Nebenwirkungen und langfristigen Folgen einer solchen Dauerberieselung und permanenten Selbstbeobachtung wird von den Forschern bisher kaum ernst genommen. Kein Wunder übrigens, denn es gibt kaum Untersuchungen, die nicht (auf die ein oder andere Weise) am Tropf der Pharmaindustrie hängen.

Die nächste Frage, die ich mir angesichts des Therapie-Socialbots stelle: Inwiefern verdrängt und ersetzen digitale Angebote etablierte Behandlungsformen? Eine Software wie Woebot ist natürlich keine Alternative zu einem ausgebildeten Therapeuten. Einige Anbieter von Online-Therapien ergänzen allerdings die Selbstbedienug der Patienten mit halbstündigen Gesprächen über Skype oder Telefon - vergleichbar mit dem sogenannten Blended Learning bei den Massive Open Online Courses im Internet. Die Arbeitsverhältnisse der Coaches, die einmal in der Woche eine halbe Stunde lang die depressiven oder angstgestörten Patienten beraten und ermuntern, erinnern an Callcenter. Statt formal unabhängige, niedergelassene Psychotherapeuten sind sie Angestellte kommerzieller Unternehmen.

Die Pharmaindustrie, die mit all ihrer Marktmacht Electronic Mental Health zu etablieren versucht, will mit den Apps und Programmen allerdings vor allem neue Käuferschichten erschließen. Will sagen: die Programme werden wahrscheinlich die etablierten Behandlungsformen (und die sind eben face to face und one on one) ergänzen statt verdrängen, "supplementären Konsum" erzeugen anstatt "substituieren" wie die Volkswirtschaftler sagen würden.

Nicht zu vergessen die Frage nach der Datensicherheit! Ist es eine gute Idee, einem solchen Programm intime Details anzuvertrauen? Das Programm Woebot läuft über den Nachrichtendienst von Facebook. Was der Konzern mit den anfallenden Daten anfängt, wird aus den Geschäftsbedingungen nicht wirklich klar. Hier eröffnen sich, zynisch gesagt, enormen Möglichkeiten fürs Crossmarketing. "Du hast Ängste, Selbstzweifel, bist traurig? Wir haben da genau das richtige Produkt im Angebot!"

Und dann wäre da schließlich noch die sozusagen kulturelle Frage: Was sagt ein Programm wie Woebot über unsere heutige Lebensform aus? Welche Art von Subjektivität wird mit einer solchen psychotherapeutischen Praxis "aufgerufen"? Genug Fragen für ein ganzes Buch ...